Und so begann es.

 

Der Planet Erde, den wir auch gerne "unseren" Planeten nennen, entstand vor etwa 4,4 Milliarden Jahren. Wir Menschen sind darauf eine sehr neue und vielleicht auch flüchtige Erscheinung. Wie unbedeutend wir sind, wie demütig wir darum vielleicht sein sollten, das lässt sich mit einem kleinen Rechenspiel veranschaulichen.

 

Hätte sich die Geschichte des Planeten Erde bis heute in einem einzigen Jahr, also in 365 Tagen, abgespielt, so würde ein Monat 375 Millionen Jahren entsprechen. Ein Tag wären 12 Millionen Jahre, eine Stunde des Modelljahres wären 500 000 Jahre, eine Minute wären 8500 Jahre, eine Sekunde wären 140 Jahre.

 

Am Neujahrstag, dem 1. Januar, beginnt die Erdentstehung. Es existiert die Sonne, und in ihrer Umgebung entstehen Planeten im Urzustand.

 

Im Januar erhitzt sich die Erde, die Erdkugel wird flüssig, vorhandenes Eisen sinkt in den Erdkern.

 

Im Februar bildet sich eine Kruste, die Erde ist von Wasser bedeckt. Die chemische Evolution beginnt.

 

Anfang März entstehen die ersten Kontinente. Als erste biologische Lebensformen entstehen Blaualgen und Bakterien. Beim Stoffwechsel der Algen wird Sauerstoff freigesetzt. Die Umwandlung der Atmosphäre beginnt.

 

Im August gibt es genügend Sauerstoff für die einfachsten Tiere, wie zweischalige Krebse.

 

Im Oktober wird bei gewaltigen Lavaergüssen der gesamte Nordosten Kanadas mit einer Lavaschicht überzogen. Es beginnt eine Eiszeit.

 

Am 16. November unseres Modelljahres beginnt ein neuer Abschnitt der Erdgeschichte - das Kambrium.

 

Etwa am 17. November beginnt die zweite Vereisung.

 

Am 19. November entstehen innerhalb weniger Stunden die Baupläne für sämtliche Lebewesen.

 

Am 27. November entwickeln sich die ersten Pflanzen an Land.

 

Am 3. Dezember kriechen die ersten Tiere auf das Festland.

 

Am 4. Dezember beginnt das Karbonzeitalter. Es entwickeln sich aus Reptilien die ersten Säugetiere, Vögel, Riesenechsen und die Saurier.

 

Am 8. Dezember, dem Ende des Karbonzeitalters, beginnt eine neue große Eiszeit, die bis zum 12. Dezember anhält. Beim Zusammenstoßen des Nord- und des Südkontinents am 11. Dezember falten sich in Nordamerika die Appalachen und in Nordafrika das Atlasgebirge auf. Alle Kontinente bilden noch einen einzigen Festlandsblock.

 

Zwischen dem 14. und 17. Dezember zerbricht der Urkontinent in vier große Platten: Nordamerika, Europa/Asien, Südamerika/Afrika, Indien/Australien und die Antarktis. Die Saurier sind die beherrschende Lebensform auf der Erde bis zum 25. Dezember, an dessen Nachmittag die Karriere der Säugetiere beginnt.

 

Am 27. und 28. Dezember entstehen bei Zusammenstößen kontinentaler Schollen alle heutigen Hochgebirge. In Asien rammt am 28. Dezember Indien gegen Tibet, der Zusammenstoß führt zur Auffaltung des Himalaya-Gebirges.

 

Erst am Abend des 31. Dezember finden sich erste Spuren früher Menschentypen in Ostafrika.

 

Um 23:50 Uhr, in einer Zwischen-Warmzeit, ist eine Höhle im Neandertal unweit von Düsseldorf bewohnt. Um 23:52 Uhr beginnt der vorläufig letzte Vorstoß von Eismassen und bedeckt auch Teile Norddeutschlands.

 

Um 23:56 Uhr, während der Eiszeit, erscheint der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens, in Europa.

 

Um 23:59 Uhr tauen die Gletscher in Norddeutschland und Skandinavien.

 

In dieser letzten Minute des Modelljahres, erdgeschichtlich im Holozän, beginnt die eigentliche Kulturgeschichte der Menschheit.

 

Um 23:59 Uhr und 28 Sekunden wird in Ägypten die Cheops-Pyramide errichtet. 22 Sekunden vor Mitternacht lebt Abraham als Begründer des Judentums.

 

20 Sekunden vor Mitternacht werden die Bücher Moses und Homers „Ilias“ und „Odyssee“ geschrieben. 14 Sekunden vor Mitternacht wird Jesus Christus geboren, 10 Sekunden vor Mitternacht der Prophet Mohammed.

 

Drei Sekunden vor Mitternacht sucht Kolumbus den Seeweg nach Indien und stößt auf Amerika.

 

In den letzten zwei Sekunden des Jahres steigt die Anzahl der auf dem Planeten Erde lebenden Menschen von einer auf acht Milliarden.

 

In der letzten Sekunde unseres Modelljahres, erdgeschichtlich nun im Anthropozän, also erstmals einer Zeit, die maßgeblich vom Menschen beeinflusst wird, verbraucht die Menschheit einen Großteil aller Kohle-, Öl-, Gas- und Erzvorräte, die fossilen Brennstoffe mittels Verbrennung.

 

Dadurch gerät die Spezies Mensch in Gefahr, die Umwelt zu vernichten und die Erde unbewohnbar zu machen. Wie werden unsere Kinder auf uns zurückblicken? Oder wird es keine mehr geben?

 

Inspiriert durch einen Vortrag von Alvo von Alvensleben (1970): „Erde und Weltraum - ein Streifzug durch Raum und Zeit“. Mit Ergänzungen von Wolfgang Beyer und Udo von Barckhausen. Ebenso veröffentlicht in einem Buch von Dirk Rossmann unter dem Titel "Der neunte Arm des Octopus" aus dem Jahr 2020.